Direkt vorweg: Meine Sichtweise, meine Erfahrungen und mein Wissen basieren auf den Entdeckungen von John Bowlby und Mary Ainsworth, die sich etwa 20 Jahre lang ab 1940 mit der Bindungstheorie befasst haben. Ihre grundlegenden Annahmen gelten nach wie vor als stichhaltig. Nichtsdestotrotz lese ich sehr viel zu diesem Thema und bilde mich ständig weiter. In meiner Arbeit verwende ich unter anderem die Techniken der systemischen Therapie, wodurch ich ein für mich schlüssiges Gesamtkonzept entwickeln konnte. Jetzt möchte ich euch jedoch zunächst die vier Bindungstypen in diesem Blogbeitrag vorstellen.
Der sichere Bindungsstil Menschen entwickeln dann eine sichere Bindung, wenn sie die Erfahrung machen durften, so angenommen und geliebt zu werden, wie sie sind. Wenn Liebe nicht an Bedingungen geknüpft wird, sondern einfach da ist. Wenn sie in ihren Gefühlen und Bedürfnissen gehört werden und Auseinandersetzungen keinen Einfluss auf die Beziehungsdynamik haben. Angeblich sind 50% der Menschen sicher gebunden. Ob dies wirklich stimmt? Ich denke, es gibt viele Graustufen dazwischen und nicht unbedingt viele Menschen, die einen perfekten sicheren Bindungstyp aufweisen. Mal an sich zu zweifeln und sich manchmal verunsichern zu lassen, ist wohl eher die Normalität. Aber zurück zur Theorie:
Den sicheren Bindungsstil erkennen
Jemand, der sicher gebunden ist, erkennst du daran, dass er ein gesundes Maß an Selbstbewusstsein besitzt. Diese Person kann eigene Gefühle und Bedürfnisse erkennen, annehmen und kommunizieren. Vor allem können Grenzen gesetzt werden, die dem eigenen Selbst schaden würden. Bei einem sicheren Bindungstyp herrscht keine Scheu vor einer Beziehung, dennoch werden diese weder unüberlegt noch überstürzt eingegangen. Ein entspanntes Kennenlernen ist die Voraussetzung für eine sichere Beziehung. Zudem können die Gefühle des Partners von den eigenen abgegrenzt werden. Wenn eine Person sicher gebunden ist, hat sie zwar Empathie für den Partner, doch dessen Stimmung bestimmt nicht die eigene Gefühlslage. Diese Person weiß, dass sie auch gut alleine sein kann und eine potenzielle Trennung macht sie zwar traurig, bedeutet aber keinen Weltuntergang. Aufgrund der Feinfühligkeit der Bezugspersonen in der Kindheit entwickelt eine sicher gebundene Person die Zuversicht, dass die Bindungsperson (emotional) erreichbar bleibt. Dies spiegelt sich auch in der Beziehung im Erwachsenenalter wider. Trennungen werden demnach eher aus sachlichen und rationalen Gründen getroffen und weniger impulsiv und aus emotionalen Gründen.
Der unsicher-ambivalente Bindungsstil
In der Kindheit kann hier die Erfahrung gemacht worden sein, dass die Bindungsperson sich unzuverlässig, nicht vorhersehbar und nicht nachvollziehbar verhalten hat. Esentsteht eine ausgeprägte Wachsamkeit, um die Stimmung der Bindungsperson zu erfühlen, um sich vorbereiten und anpassen zu können. Mit einer Häufigkeit von 10-15% liegt dieser Bindungstyp vor (Mickelson, 1997).
Den unsicher-ambivalenten Bindungsstil erkennen
Eine unsicher-ambivalent gebundene Person ist jemand, der sich in Beziehungen verlustängstlich verhält. Diese Menschen verhalten sich abhängig in Beziehungen und sind von einer starken Angst geprägt, die Bindungsperson zu verlieren. Häufig passen sich solche Menschen übertrieben stark an, um zu gefallen. Ängstliche Bindungstypen befinden sich in einem permanenten Stressmodus, was nicht selten dazu führt, dass sie ihr eigenes Leben vernachlässigen, da schlichtweg keine Kapazität mehr dafür vorhanden ist. So entsteht eine (emotionale) Abhängigkeitsspirale, welche die Verlustangst weiter verstärkt und die eigene Selbstwirksamkeit und das Selbstbewusstsein zunehmend zerstört.
Der unsicher-vermeidende Bindungsstil
Ebenso wie der ängstliche Bindungsstil ist auch der vermeidende Bindungsstil von Unsicherheit geprägt. Auch diese Menschen haben nicht gelernt, zuversichtlich bezüglich der Zugänglichkeit der Bindungsperson zu sein. Die Grundannahmen, die dieser Bindungstyp in sich trägt, sind, dass der Wunsch nach Nähe und Zuneigung grundsätzlich auf Ablehnung stößt. Menschen, die häufig abgewiesen wurden, schützen sich, indem sie scheinbar emotional abstumpfen und Beziehungen vermeiden. Dieser Bindungstyp tritt mit ca. 25% am zweithäufigsten auf (Mickelson, 1997).
Den unsicher-vermeidende Bindungsstil erkennen
In unserer Gesellschaft wird das "unabhängig sein" häufig als positiv angesehen, weshalb es für diesen Bindungstyp schwer ist, aus der bekannten Rolle auszubrechen. Durch den Umgang mit Schmerz und Enttäuschung versteckt sich der scheinbare Leidensdruck unter dem Deckmantel der Gleichgültigkeit. Häufig besteht ein überzogenes Selbstbild, da dies wichtig ist, um sich auf sich selbst verlassen zu können und sich möglichst unabhängig verhalten zu können. In Beziehungen neigen vermeidende Bindungstypen dazu, gefühlskalt zu werden, Distanz und Freiraum zu suchen und Verantwortung bezüglich anderer zu vermeiden.
Der desorganisierte Bindungsstil
Kinder, die stark vernachlässigt wurden oder sogar misshandelt wurden, entwickeln häufig einen desorganisierten Bindungsstil. Traumatische Erlebnisse lassen diese Personen glauben, dass die Welt ein schrecklicher Ort ist. Der desorganisierte Bindungsstil wurde als letzter hinzugefügt, nachdem es immer wieder Kinder gab, die nicht in die vorherigen Kategorien einzuordnen waren. Menschen mit einem desorganisierten Bindungsstil hatten meistens misshandelnde Bezugspersonen. Die Bezugsperson war einerseits schützend, aber gleichzeitig bedrohlich. Da Kinder eine Bindung aufbauen müssen, jedoch in solch einem Fall keine Bindungsstrategie entwickelt werden kann, gerät das Kind in eine sogenannte Double-Bind-Situation. Dieser Bindungstyp tritt vergleichsweise selten auf, mit einer Häufigkeit von 5% (Mickelson, 1997)*.
Den desorganisierten Bindungsstil erkennen
Im Erwachsenenalter zeigt sich dieser Bindungsstil durch die Schwierigkeit, die eigenen Emotionen zu regulieren. Diese Personen haben starke Probleme damit, Nähe herzustellen und Beziehungen aufzubauen. Oft zeigen sie verwirrendes und widersprüchliches Verhalten und sind grundsätzlich misstrauisch. Dieser Bindungsstil erfordert grundsätzlich eine therapeutische Bearbeitung, da das zugrunde liegende Trauma aufgearbeitet werden muss.
Wenn du wissen möchtest, welcher Bindungstyp auf dich zutrifft, dann bearbeite gerne meinen kostenlosen Bindungstypen-Test.
*Berk (2005) kommt zu einer etwas anderen Verteilung. Danach sind etwa 60-70% der Menschen sicher gebunden, während ängstliche und vermeidende Bindungstypen mit 10-15% etwa gleich verteilt sind. Der desorganisierte Stil soll zu 5-10% vorkommen. Schlussendlich ist die Häufigkeit für das Individuum irrelevant. Egal mit was du zu mir kommst, ich nehme dich so an, wie du bist.
Quellen:
Mickelson, K. D. et al.: Adult attachment in a nationally representative sample. Journal of Personality and Social Psychology 73, S. 1092–1106, 1997
Berk, L. E. (2005). Entwicklungspsychologie. München: Pearson.
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